2.5.3. Glasfenster

Glasfenster an der Nordwand des Chorraumes

Im Rahmen der Renovierung 1970/74 wurden von Erich Schickling, Eggisried, in Zusammenarbeit mit der Firma van Treeck, München, neue Glasfenster geschaffen. Sie ersetzten die alten Fenster des 19. Jahrhunderts. Eines dieser alten Fenster ist noch seitlich des Altars über dem Eingang zur Gruft zu sehen.

Bei der Renovierung erhielten die Fenster wieder eine Gliederung mit Maßwerk und Steinrippen. Für die beiden Seitenschiffe wurde eine einfache Rundverglasung in verschiedenen Grautönen gewählt, „um das Licht zu filtern und dem Raum die feierliche Stimmung zu erhalten“ (Festschrift zur Altarweihe, S. 17, vgl. auch die Außenansicht vor der Renovierung unten). Insgesamt acht Fenster wurden besonders gestaltet: das Westfenster und die sieben Fenster im Chorraum. Auch hier wurde differenziert: Die vier an den nördlichen und südlichen Seitenwänden des Chores befindlichen Fenster weisen lediglich abstrakte Formen auf, sie wirken hauptsächlich durch ihre Farbgebung. Die drei – direkt im Blickfeld des Kirchenbesuchers stehenden – Fenster am östlichen Chor-Abschluss sind dagegen figürlich gestaltet.

Das über die Tages- und Jahreszeiten hin zu beobachtende Spiel von Licht und Farbe gibt der Pfarrkirche eine besondere Atmosphäre. Wie die ersten Fenster der 1480 vollendeten Kirche ausgesehen haben, wissen wir nicht, wir haben aber die Vorbilder der großen gotischen Kathedralen, in denen das farbige Licht der Fenster bewusst eingesetzt wurde. Es sollte nicht nur eine allgemein mystische Stimmung vermitteln, sondern die Lichthaftigkeit des Himmels erahnen lassen. Nicht zuletzt soll sich die Seele des Betrachters durch die Betrachtung bewegen lassen, selber Licht zu werden.

Zur Symbolik eines mittelalterlichen Sakralbaus gehört es, als Ganzes ein Sinnbild des Himmlischen Jerusalem sein zu wollen. Diese himmlische Stadt ist selbst wiederum ein Bild für die erwartete Vollendung von Mensch und Welt. „Die Stadt braucht weder Sonne noch Mond, die ihr leuchten. Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm.“ (Offb 21,23), heißt es dazu im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes. Die farbigen Fenster wollen einen Vorgeschmack dieser Herrlichkeit geben und nicht zuletzt darum ist Blau, die Farbe des Himmels und der Unendlichkeit, die vorherrschende Farbe.

Die zweithäufigste Farbe in den Fenstern sind verschiedene Rottöne. Rot ist ebenfalls eine Farbe, die die göttliche Wirklichkeit bezeichnet, aber nicht ihre Transzendenz, sondern ihre Zuwendung zu den Menschen und zur Welt: Rot ist die Farbe des Feuers, des himmlischen Glanzes, der Wärme, der Liebe. Das Rot bringt Bewegung und Dynamik in die Glasfenster, wenn man inmitten des kühlen Blau immer wieder rote Feuerzungen aufblitzen sieht. Es mag ein Bild des Lebens sein, von dem man doch weiß, dass es ganz in Gott geborgen ist – und doch sind es immer wieder (nur) einzelne Punkte, besondere Momente, wo diese Geborgenheit konkrete Gestalt gewinnt, wo sie als erfahrene Liebe greifbar wird und uns mit Glück erfüllt. Was nüchterne Worte nur schwer beschreiben können, mag ein Gedicht des österreichischen Pfarrers und Dichters Martin Gutl († 1994) besser zum Ausdruck bringen:

 

Wenn Du mich rufst, Gott,

an jenem Tag, an dem du mich rufst: Komm!,

werde ich zu Dir kommen, zu Dir,

den ich in diesem Dasein millionenmal aufblitzen sah

wie Sonnenstrahlen auf Meereswogen.

 

Ich werde kommen mit allen Tränen, die ich geweint habe,

ich werde kommen mit den Erinnerungen an die Gespräche mit Menschen,

an die Auseinandersetzung mit den Fragen, die keine Antwort zuließen.

ich werde kommen und nur eines sagen: DU!

 

In den drei Hauptfenstern des Chorraums fungiert Rot als Hintergrund zu so mancher Szene (bei der Taufe Jesu, bei der Kreuzigung; beim Abendmahl ist der Tisch in Rot gehalten, beim Lamm Gottes das dahinterstehende Kreuz): Es ist ein stilles Zeichen der Liebe Gottes, die gewissermaßen der Hintergrund ist, auf dem die dargestellten Ereignisse zu verstehen sind. Und Rot ist nicht nur die Farbe der Liebe und des Lebens, es ist auch die Farbe des Blutes, das nicht nur „Lebenssaft“ ist, sondern oft auch gewaltsam vergossen wurde (und wird). Rot steht im christlichen Kontext deshalb auch für die Märtyrer, die Blut-Zeugen, von denen Johannes der Täufer einer der ersten war. Es erinnert daran, dass die Beziehung Gottes zum Menschen keine einseitige ist: Liebe erwartet Gegen-Liebe als Antwort. In den konkreten Bedingungen dieser Welt ist das oft eine schwere, ganzen Einsatz verlangende Aufgabe. Aber genau das macht die Liebe aus, denn Liebe geht immer aufs Ganze und sie ist es auch wert. „Was gibt sie dir – oder auch mir – dafür? Genau so viel, wie sie nimmt, sie behält nichts zurück“, heißt es in dem Gedicht „Fragen und Antworten“ von Erich Fried. Das Rot steht so auch da als eine stete Mahnung, nicht hinter dem zurückzubleiben, was Jesus Christus uns vorgelebt hat.

 

Kreuzigung

Die beiden Farben Blau und Rot dominieren die Fenster, gelegentlich erscheinen auch Gelb‑ und Grüntöne in ihnen. Gelb (oder Gold) ist die Farbe der Sonne, des göttlichen Lichtes, der Ewigkeit, vor allem finden wir es im Westfenster, das das himmlische Jerusalem darstellt. Grün ist die Farbe der Hoffnung und der Auserwählten, und es ist ein Hinweis auf das Paradies, den Garten, in den Gott im Anfang der Schöpfung den Menschen gestellt hatte. Das Grün erscheint – wie Gelb auch – in einigen Gewändern (einer der drei Könige, ein Jünger unter dem Kreuz), und wir sehen es am unteren Rand der Glasfenster (bei den beiden Szenen „Johannes im Gefängnis“ und „Enthauptung Johannes des Täufers“). Es mag hier für die Erde stehen (vor allem wenn man die Fenster von oben nach unten liest, siehe hier), sie bildet den Boden, auf dem wir stehen. Übertragen kann man es verstehen als einen Hinweis auf die Hoffnung, die nicht verloren geht (auch in den schweren Situationen von Gefängnis und Tod). Die Hoffnung ist in gewissem Sinn der Grund, auf dem wir stehen: Wer Hoffnung hat, kann nicht ins Bodenlose fallen. Worin aber besteht diese Hoffnung? Wenn man das Thema (siehe unten) der Glasfenster ernst nimmt, dann ist es das Wort Gottes selbst, das uns zu dieser Zuversicht berechtigt. Der Apostel Paulus hat es einmal so formuliert: „Ich erinnere euch, Brüder, an das Evangelium, das ich euch verkündet habe. Ihr habt es angenommen; es ist der Grund, auf dem ihr steht“ (1 Kor 15,1; vgl. auch Röm 5,2; 15,4). – Nicht zuletzt darum erscheint das Grün auch im Kreuz Jesu (das das Zentrum der Botschaft der Evangelien ist). Das Holz des Kreuzes ist kein toter Baum, sondern vielmehr ein Zeichen lebendiger Hoffnung: „Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Leben, im Kreuz ist Hoffnung“, heißt es in der Antiphon des Karfreitags. Dabei geht es nicht (in falsch verstandenem Sinn) um eine Verherrlichung des Leidens, sondern darum zu erkennen, wie weit Gott auf den Menschen zugeht. Es geht darum, die Liebe zu spüren, die er uns erweisen möchte. Wo Liebe ist, da ist Leben, darum kann man das Kreuz als „Baum des Lebens“ verstehen (in der ganzen Vielfalt der Bedeutungen, die dieses Ursymbol beinhaltet). Es ist der Ort, der das verlorengegangene Paradies wieder für uns öffnet.

Die einzelnen Szenen auf den drei Glasfenstern des Chorabschlusses lassen sich ziemlich klar erkennen. Im Wesentlichen sind es auf jedem Fenster drei Motive (siehe hier). Wie aber gehören diese Motive zusammen, was verbindet sie miteinander? Johannes der Täufer taucht öfter auf den Fenstern auf, insgesamt vier Mal ist er dargestellt. Das wird nicht verwundern, ist er doch der Patron der Kirche. Aber die Fenster stellen uns nicht einfach einen Lebenslauf des Täufers vor, sie wollen mehr sein, nämlich eine Zusammenfassung der Botschaft des Johannes.

Evangelist Matthäus (Mensch/Engel)

„Wort Gottes“ (in der Einheitsübersetzung meist mit „Spruch des Herrn“ wiedergegeben), mit dieser Formel bekräftigten die Propheten des Alten Testamentes ihre Verkündigung. Sie machten damit deutlich, dass sie nicht in eigenem Namen und Auftrag sprachen, sondern dass sich in ihren Worten Gott selber zur Sprache bringt. Darin drückt sich die Mittlerfunktion des Propheten aus: Selber von Gott ergriffen bringt er durch seine Worte andere mit der göttlichen Wirklichkeit in Verbindung. – Für Johannes, den letzten der Propheten des Alten Bundes, gilt das noch einmal in besonderer Weise und in besonderem Sinn: Er ist gerufen, nicht nur ein von ihm in seinem Inneren gehörtes Wort zu verkünden, sondern die Menschen mit Jesus Christus als dem menschgewordenen Wort Gottes bekannt zu machen (Joh 1,31). Vor allem zwei markante Worte, mit denen die Evangelien Johannes den Täufer zitieren, sprechen von dieser Aufgabe: „Bereitet dem Herrn den Weg!“, heißt es in den ersten drei Evangelien (Mt 3,3; Mk 1,3; Lk 3,4). Es ist nicht ein allgemeiner Aufruf, ein „gutes Leben“ zu führen und sich so für Gott zu öffnen, sondern es wird verstanden als ein Appell, sich für Christus und die Begegnung mit ihm bereit zu machen. – „Seht das Lamm Gottes!“ (Joh 1,29.36), dieses Wort des Johannes ist vielleicht noch bedeutsamer, mit ihm macht er seine Jünger auf Jesus aufmerksam. Er „deutet“ hier in einem doppelten Sinn: Er zeigt auf Jesus und er sagt, wer oder was dieser Jesus ist, nämlich derjenige, in dem Gott Heil und Erlösung bringt. Es ist ein prophetischer Hinweis auf das, was sich in besonderer Weise am Kreuz erfüllen wird. Johannes der Täufer ist Vorläufer, er ist Wegbereiter, er ist der, der auf Christus zeigt und der den Raum für dessen Wirken eröffnet.

Evangelist Johannes (Adler)

Noch einmal in einem anderen Bild beschreibt das Johannes-Evangelium diese Sendung des Täufers: „Es trat ein Mensch auf, der von Gott gesandt war; sein Name war Johannes. Er kam als Zeuge, um Zeugnis abzulegen für das Licht, damit alle durch ihn zum Glauben kommen. Er war nicht selbst das Licht, er sollte nur Zeugnis ablegen für das Licht“ (Joh 1,6–8). Johannes ist „Zeuge für das Licht“ – welches Medium als gerade farbige Glasfenster könnte besser von dieser Aufgabe erzählen? Auf ihre Weise tun die Fenster ja dasselbe, was Johannes tat: Indem das weiße Sonnenlicht durch sie hindurchtritt und Farbigkeit bekommt, wirkt es noch einmal ganz anders auf uns und berührt unsere Seele und unseren Geist. Licht und Glas wirken zusammen wie die göttliche Gnade und der Mensch, der sie in sich aufnimmt und durch sich hindurchströmen lässt.

Evangelist Markus(Löwe)

Evangelist Lukas (Stier)

Das lebendige „Wort Gottes“, dem Johannes dient und das er bezeugt, das ist das eigentliche Thema der Fenster. Darum sind drei der neun Bilder Szenen aus dem Leben des Johannes, sechs Bilder aber befassen sich mit Christus. Den Anstoß zu dieser Thematik mag das II. Vatikanische Konzil (1962–1965) gegeben haben, das dem „Wort Gottes“ eine eigene Konstitution gewidmet hat. Die ursprüngliche Idee freilich entspringt der Heiligen Schrift selbst: Jesus Christus ist „Wort Gottes“, weil er uns in einzigartiger Weise sagt (nicht nur mit Worten, sondern mit seiner ganzen Existenz), wer und wie Gott ist. Im Anfang des Johannes-Evangeliums mag das zur Sprache kommen, und im Hebräerbrief heißt es gleich zu Beginn: „Viele Male und auf vielerlei Weise hat Gott einst zu den Vätern gesprochen durch die Propheten; in dieser Endzeit aber hat er zu uns gesprochen durch den Sohn“ (Hebr 1,1–2a). Gott spricht sich in Jesus aus, könnte man sagen. Den Menschen macht das zu einem von Gott Angesprochenen. In gewisser Weise steckt in diesem Angesprochen-Sein von Gott die ganze Größe und Würde des Menschen („Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, heißt es bei Jesaja 43,1). Es bedeutet für den Menschen zugleich einen Anspruch, der an ihn gerichtet wird: das Wort Gottes nicht zu überhören, sondern mit seinem Leben Antwort darauf zu geben. Gott will mit dem Menschen in Dialog treten – in und durch Jesus Christus. „Lebendig ist das Wort Gottes“ (Hebr 4,2), diese Aussage bekommt durch den Bezug auf Jesus Christus einen besonderen Sinn: Lebendig im Sinne von „wirksam“ war das Wort Gottes schon immer, in Christus nimmt es nun ganz menschliche Züge an. Das Christentum gründet auf diese lebendige von den ersten Jüngerinnen und Jüngern mit ihrem Glauben und ihrem Leben bezeugte Wirklichkeit. Darum ist es auch keine „Buchreligion“ im strengen Sinn. Christus selbst ist das lebendige Wort Gottes, das Gott zu uns „gesprochen“ hat. Von ihm her ergibt sich die Bedeutung der Heiligen Schrift. Sie ist ebenfalls „Wort Gottes“ (wie es in der Liturgie heißt), aber im Vergleich dazu in einem abgeleiteten Sinn. Als „Gotteswort im Menschenwort“ (wie man die Ausführungen der Konzils-Konstitution „Dei Verbum“, Nr. 11–13 auf den Punkt gebracht hat) ist sie das erste und wichtigste, vom Heiligen Geist selbst inspirierte Zeugnis, wie Gott in der Geschichte Menschen angesprochen hat und wie Gott in Jesus Christus selbst Mensch geworden ist.

Wie wird nun das Gesamt-Thema „Wort Gottes“ im Bild umgesetzt? Um diese Frage zu beantworten, wird man zunächst sehen, was im Einzelnen auf den Fenstern zu dargestellt ist. Wie schon gesagt: Jedes der drei Fenster enthält im Wesentlichen drei biblische Szenen, oben, in der Mitte und unten. Nimmt man alle Fenster zusammen ergibt sich also ein Quadrat mit neun Feldern:

 

Linkes Fenster

Mittleres Fenster

Rechtes Fenster

Der Engel kündigt Maria die Geburt Jesu an

(Lk 1,26–38)

Jesus als Lamm Gottes

(z. B. Joh 1,29.36; Offb 5,6)

Anbetung des Jesus-Kindes durch die hl. drei Könige (Mt 2,10f.)

Taufe Jesu durch Johannes

(z. B. Mk 1,9-11)

„Pfingsten“

(Apg 2,1–42)

Tod Jesu am Kreuz, darunter Johannes, Maria und der römische Hauptmann

(z. B. Mk 19,25–27)

Johannes im Gefängnis

(z. B. Mk 6,17)

Letztes Abendmahl Jesu

(z. B. Mk 14,17–25)

Beim Festmahl des Herodes wird Johannes der Täufer enthauptet

(z. B. Mk 6,21–29)

 

 

 

Am besten versteht man das Bild wohl vom Zentrum her, das ist die mittlere Szene im mittleren Fenster. Hier wird in eigentümlich abstrakter Weise das Pfingstereignis dargestellt. Man kann in dieser „Explosion“ vielleicht das Feuer erkennen oder auch den Sturm, die beide die pfingstliche Ausgießung des Geistes bezeichneten. Vor allem aber wird man daran denken, dass „Pfingsten“ ein Wunder des Wortes und der Sprache war: Die Jünger werden aus ihrer Sprachlosigkeit herausgerissen, sie werden zu sprechenden Zeugen des Heils, das sie erfahren haben. „Wir hören sie in unseren Sprachen Gottes große Taten verkünden“ (Apg 2,11), stellte die versammelte Volksmenge erstaunt fest. So ist das Pfingstereignis der Anfang, wie das Wort Gottes in die ganze Welt hinausgeht – und genau darin die Geburtsstunde der Kirche. „Vom Heiligen Geist erfüllt werden“ (Apg 2,4) heißt im Grunde nichts anderes, als einen Sinn zu bekommen für das Wirken Gottes in der Welt, es aber nicht nur wahrzunehmen, sondern auch in Wort und Tat zu bezeugen, damit auch andere davon erfahren. In menschlichen Worten wird das Wort Gottes weitergegeben und Gemeinschaft entsteht. „Und das Wort Gottes breitete sich aus“ (Apg 6,7), so schreibt die Apostelgeschichte die Pfingstgeschichte fort, und das ist im Grunde das Thema unter dem das ganze biblische Buch steht.

Die übrigen acht Motive ordnen sich um dieses Zentrum herum an. Was die Mitte in abstrakter Verdichtung sagt, das konkretisieren sie: „Wort Gottes“, das ist die Botschaft von Jesus – um sie geht es in den Darstellungen. Ich würde die Anordnung der Szenen so lesen:

Um das Zentrum legen sich zwei ineinanderliegende Quadrate (ein blaues und ein rotes in der Skizze oben). Wer viel Phantasie hat, kann in diesem Muster eine sich öffnende Knospe oder Blüte erkennen, oder zwei konzentrische Kreise: Wie bei einem Stein, der ins Wasser geworfen wird, und damit den Impuls gibt für eine Wellenbewegung, die sich in größer werdenden Kreisen ausbreitet. Auf jedem der Bilder des inneren Quadrates findet man als Hauptperson Jesus dargestellt, und zwar in der Folge der wichtigsten „Stationen“ seines Lebens. Das äußere Quadrat zieht den Kreis weiter: Immer noch geht es um Jesus, aber andere Personen stehen jetzt im Vordergrund: Maria, zwei Mal Johannes und die drei Weisen. Was verbindet diese vier Szenen? Man könnte sagen, es geht darum, wie Menschen auf das Wort Gottes antworten.

Die Bilder des inneren Quadrates

Schauen wir genauer auf das innere Quadrat: Dargestellt werden die Taufe durch Johannes, das Abendmahl mit den Jüngern, sein Tod am Kreuz und schließlich Christus als das Lamm Gottes. Die Taufe Jesu ist der erneuerten Liturgie der Abschluss des Weihnachtsfestkreises, die übrigen drei Bilder beziehen sich auf die Geheimnisse der „heiligen drei Tage“: Gründonnerstag mit dem Abendmahl, Karfreitag mit dem Tod Jesu und der Ostersonntag mit der Auferstehung. Für Letztere steht das Lamm Gottes im obersten der vier Felder. Das „Lamm Gottes“ will uns sagen: Christus ist gerade als der Gekreuzigte der Sieger über den Tod, das fünfte Kapitel der Offenbarung des Johannes beschreibt das „Lamm Gottes“ so. Auf Hostien findet man oft das in ein Kreuz eingeschriebene ostkirchliche Christogramm IC XC NI KA, es ist die Kurzform von „Iesοus Christos nika – Jesus Christus siegt“, damit soll genau dasselbe ausgesagt werden. Auch das traditionell gebackene Osterlamm mit der Fahne (einer Siegesfahne, vgl. auch hier) weist auf dieses Glaubensgeheimnis hin.

Mit den „inneren“ vier Darstellungen sind also nicht nur die Hauptfeste (zusammen mit dem Pfingstfest im mittleren Bild) benannt, sondern im Grunde wird eine Zusammenfassung des christlichen Glaubens als ganzem gegeben. Man mag sich vielleicht etwas wundern, dass für den Weihnachtsfestkreis nicht die Geburt Christi, sondern seine Taufe gewählt wurde. Das liegt wohl nicht nur daran, dass Johannes der Täufer in dieser Szene vorkommt. Man wird auch an die zentrale, bei der Taufe durch Johannes von Gott selber gesprochene Aussage denken: „Das ist mein geliebter Sohn, auf ihn sollt ihr hören“ (Mk 9,7). Es ist ein Zeugnis über das Verhältnis zwischen Gott und Jesus, aber in der Aufforderung „auf ihn zu hören“ kommt auch hintergründig noch einmal zum Ausdruck, dass Jesus selber das „Wort Gottes“ ist.

Genau darum wird man die anderen drei Bilder ebenfalls unter diesen Aspekt anschauen. Man kann sie gewissermaßen zum Sprechen bringen, indem man sich die Worte ins Gedächtnis ruft, die sich mit dem Dargestellten verbinden. Versuchen wir es! Im mittleren Fenster unten sehen wir das Letzte Abendmahl. Um den kreisrunden roten Tisch herum sitzen Jesus und die zwölf Jünger. Die Farbe ist nicht zufällig gewählt (wie wir oben schon gesehen haben), sie will Zeichen sein. Im Blick auf das Bild könnte man sagen: Alles dreht sich um die Liebe. Im Zentrum des Tisches liegen der Zweig eines Weinstocks mit einer Traube und eine Garbe von Weizenhalmen. Es ist doch auffällig, dass nicht Brot und Wein gezeigt werden, nicht das „Produkt“, sondern das, was die Substanz ist: die Trauben und das Korn. Im übertragenen Sinn könnte man das deuten, dass der Künstler uns anleiten möchte, auch im Handeln Jesu die Substanz zu sehen, das womit er seinem Tun Sinn gibt: seine Hingabe, die mit absolutem Einsatz das Heil der Menschen sucht.

Alles dreht sich um die Liebe. Sind Trauben und Korn schon von Natur aus ein Zeichen der Liebe Gottes, uns als sein Geschenk zum Leben gegeben – mehr noch werden es Brot und Wein durch das Tun Jesu, dass wir darin erkennen, wie er sein Leben für uns lebt. Das sagen die „Einsetzungsworte“: Dieses Brot „ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. … Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird“ (Lk 22,19f.). Und es heißt: „Tut dies zu meinem Gedächtnis!“ – Das meint sicher nicht nur den rituellen Nachvollzug des Mahles, sondern das, was in jeder Eucharistiefeier lebendige, gegenwärtige Wirklichkeit ist, soll zur Form des eigenen Lebens werden: Tut selber die Liebe, die Jesus getan hat! Darum ist es auch kein Zufall, wenn die Jünger fast mehr zum Betrachter als zu Jesus schauen. Die ganze Szene ist perspektivisch stark zum Betrachter hin geneigt: Das ist bewusste Zuwendung und Aufforderung zugleich: Tut dies zu meinem Gedächtnis!

Das Bild im rechten Fenster in der Mitte zeigt Jesus am Kreuz. Am Gründonnerstagabend beim Mahl hatte Jesus mit seinen Worten und mit dem Zeichen des gebrochenen Brotes gesagt, wie er seinen Tod verstanden wissen will, nun wird es Wirklichkeit: Jesus geht mit seiner Liebe bis zum Letzten. Ich denke die Szene will vor allem durch sich selbst wirken: in der stillen Betrachtung des Geschehens, im Blick auf den Mann, der nicht am Kreuz hängt, sondern steht, der uns zugewandt ist mit geschlossenen Augen. Der Eindruck ist nicht der eines gequälten Mannes, sondern er wirkt aufs Äußerte konzentriert, konzentriert auf die Aufgabe, die ganze Welt zu umarmen. – Freilich, je stiller eine Szene ist, umso mehr wirken die wenigen Worte, die da gesprochen werden (auch hier fehlt das „Wortelement“ nicht ganz). Es gibt mehrere Worte Jesu, die er vom Kreuz herab gesprochen hat, traditionell werden sie zusammengestellt zu den „sieben letzten Worten Jesu am Kreuz“ (eine Andacht dazu gibt es etwa im Gotteslob unter der Nummer 898). Wenn man auf die Darstellung blickt, dann wird man vor allem an das dritte Wort (Joh 19,26f.) denken, wo Jesus dem Jünger Johannes seine Mutter Maria anvertraut: „Siehe dein Sohn! Siehe deine Mutter!“ Es ist der Auftrag, füreinander dazusein, füreinander zu sorgen. Auch hier sprechen die Farben wieder für sich: Blau für Maria, Rot für den Jünger, „den Jesus liebte“ (Joh 19,26). Der Blick des Johannes ist unverwandt auf Jesus am Kreuz gerichtet – vielleicht gerade deswegen, weil da etwas geschieht, was wir nicht fassen können, was unsere Fassungskraft übersteigt. Maria dagegen blickt uns an. Mir scheint es, als ob sie uns noch einmal das Wort in Erinnerung rufen möchte, das sie bei der Hochzeit zu Kana den Dienern sagte (Joh 2,5): „Was er euch sagt, das tut!“ Von der konkreten Situation der Hochzeit zu Kana losgelöst, wird man bei diesem Auftrag an das neue Gebot der Liebe denken, das Jesus in seiner Abschiedsrede im Abendmahlssaal den Jüngern mitgegeben hatte (Joh 13,34): „Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ – Das ist es, was wir tun sollen, gleichzeitig wird mit dem Wort Marias ein Bezug hergestellt zur Szene links mit der Taufe („auf ihn sollt ihr hören“) und zur Szene unten mit dem Letzten Abendmahl („Tut dies …“). Eine dritte Gestalt ist schließlich noch unter dem Kreuz zu erkennen. Sie ist in der Hocke, hat die Hände zum Gebet gefaltet und scheint ganz in sich versunken zu sein. Da es eine männliche Figur zu sein scheint, ist es wohl der römische Hauptmann, der die entscheidende Erkenntnis ausgesprochen hat: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn“ (Mk 15,39). Seine Haltung verkörpert die einzig menschlich mögliche Antwort auf diese Einsicht: Anbetung.

In dem Bild in der Mitte ganz oben ist das Lamm Gottes dargestellt, das gewissermaßen die Szene beherrscht. Wir haben es ja bereits gedeutet als Hinweis auf den siegreich Auferstandenen. Dabei geht es aber nicht nur um die Herrlichkeit der Auferstehung, sondern auch um den Zusammenhang mit dem Leiden: hinter dem Lamm steht auf unserem Bild noch einmal das Kreuz. Schon die Offenbarung des Johannes spricht immer wieder (Offb 5,6.9.12; 13,8) von dem „Lamm, das geschlachtet wurde“. Und noch einmal deutlicher wird das vielleicht in den vielfältigen Assoziationen, die der Ausdruck „Lamm Gottes“ erweckt: Man kann an das Wesen des Lammes denken, das von äußerster Friedfertigkeit, aber auch von Wehrlosigkeit geprägt ist (als solches erscheint es auch im vierten Lied vom Gottesknecht bei Jesaja 53,7f.). In der Geschichte Israels spielt das Lamm beim Auszug aus Ägypten eine Rolle: Die Israeliten bestrichen die Türpfosten ihrer Behausungen mit dem Blut des Lammes und blieben so verschont vom Zorn Gottes, der sich über Ägypten ergoss (Ex 12,1–14). Oder man denkt an das Ritual des Sündenbocks (Lev 16,8–10): Einmal im Jahr, am Versöhnungstag, wird ein Bock symbolisch mit den Sünden des Volkes beladen und in die Wüste hinausgeschickt. So werden die Sünden gesühnt. Man erkennt: Im Bild des Lammes steckt eine Deutung des Lebens Jesu, und zwar durchaus in dem Sinn, wie er selber es verstanden hat. Darum ist das Lamm auch als Hinweis des Täufers so wichtig. „Seht das Lamm Gottes“, will sagen: Seht denjenigen, der für uns durch seinen Tod den Sieg errungen hat! Seht denjenigen „der die Sünde der Welt hinwegnimmt“, weil er wegnimmt, was uns von Gott trennt, weil er uns – in ihm selber – die Nähe Gottes neu schenkt.

Das Lamm steht ganz oben. Sinnbild für die Bedeutung, die wir ihm geben sollen. Bild auch für das, was die Offenbarung im vierten und fünften Kapitel beschreibt: Der Seher Johannes erblickt das Lamm im Himmel beim Thron Gottes. Dafür sprechen auch die anderen Details, die wir in diesem Bereich des Bildes erkennen können: Um das Lamm herum finden wir die Symbole der vier geflügelten Wesen, die um den Thron Gottes stehen (Offb 4,7, angelehnt an Visionen bei Ez 1,10; 10,14, Bilder bereits hier): den Menschen, den Löwen, den Adler und den Stier. Auf die drei Fenster verteilt bilden sie einen nach oben geöffneten Halbkreis um das Lamm Gottes. Es sind nicht zufällig die Symbole der vier Evangelisten Matthäus, Markus, Johannes und Lukas. Durch ihr Wort haben sie uns zuallererst die Botschaft vom Wort Gottes weitergegeben. Sie sind die entscheidende „Vermittlungsinstanz“, auf der der Glaube der Kirche gründet. Das will sagen: Gott spricht in das Herz jedes Menschen ganz persönlich und individuell, aber die Botschaft von Christus und seinem Werk wird uns zuallererst von den Evangelien vermittelt. Darum stehen sie nahe beim Lamm und bei Gott.

Überhaupt kann man die Fenster auch von unten nach oben lesen: Das linke und das rechte untere Bild laufen in das Grün des Erdbodens aus (Gott sprach – Gen 1,11 – die Erde solle grünen). In der unteren „Etage“ finden wir die irdische Wirklichkeit, auch mit all dem Schweren, das sie ausmacht (Johannes im Gefängnis, das Letzte Abendmahl als Abschiedsmahl, die Tragik des Todes des Täufers). Nach oben hin verdichtet sich die Präsenz des himmlischen Bereiches. Das gilt besonders in der Mitte, wo die Vision des Sehers Johannes vom himmlischen Thronsaal mit dem Lamm und den vier Lebewesen dargestellt wird. Aber auch auf den beiden Seiten wird der Himmel immer mehr präsent. Links sehen wir einen himmlischen Boten: den Engel, der Maria die Geburt des Kindes ankündigt; rechts sehen wir den Stern, ebenfalls ein himmlisches Zeichen (mehr dazu siehe hier). Und wenn wir noch höher schauen, erkennt man links die Taube als Symbol des Heiligen Geistes, der bei der Verkündigung über Maria kam (Lk 1,35) und der bei der Taufe auf Jesus herabkam (Mt 3,16; Mk 1,20; Lk 3,22). Rechts ist als Pendant die Hand Gottes dargestellt, sie symbolisiert die Gegenwart Gottes und sein Eingreifen in die Welt. Bei mittelalterlichen Darstellungen des Opfers Abrahams oder der Übergabe der Gesetzestafeln an Mose finden wir sie, aber auch häufig bei der Taufe und bei der Verklärung Christi. In unserem Bild – wo wir sie über den heiligen drei Königen finden – mag sie dafür stehen, dass die Hand Gottes ihnen den Weg gewiesen hat. Das gilt auch im übertragenen Sinn: Die Weisen wurden zur Erkenntnis der göttlichen Natur Jesu geführt. Wie auf der linken Seite die Taube zu den beiden darunterliegenden Szenen gehört, so kann man die Hand Gottes auch noch auf die nächstuntere Szene, die Kreuzigung Jesu, beziehen. Das ist ein nicht sehr häufiger Bildtypus, aber zum Beispiel in San Clemente in Rom gibt es ein altes Mosaik aus dem 12./13. Jahrhundert, wo ebenfalls die Hand Gottes über dem Kreuz gezeigt wird. Und es erscheint durchaus sinnvoll: Nicht nur, weil Jesus betet „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist“ (Lk 23,46) und so zeigt, dass er ganz den Willen des Vaters erfüllt, sondern auch, weil sich im Sohn der Vater selbst hingibt. – Die Hand Gottes schafft, nebenbei bemerkt, auch eine Verbindung zum Täufer Johannes, denn bei seiner Geburt fragten sich die Leute: „Was wird wohl aus diesem Kind werden? Denn es war deutlich, dass die Hand des Herrn mit ihm war“ (Lk 1,66). – Ganz oben findet man im linken Fenster den Mond und im rechten Fenster die Sonne. Sonne und Mond gehören der himmlischen Sphäre an, sind aber doch noch geschaffene Wirklichkeiten (vgl. Gen 1,14–18), darum sind beide in einem Quadrat dargestellt (das Viereck ist das Symbol der geschaffenen Welt). Dass sie über der Hand Gottes und über der Taube des Heiligen Geistes erscheinen, will wohl sagen: Gott bleibt nicht jenseits dieses Welt, sondern er wirkt in sie hinein, Himmel und Erde sind in Kontakt miteinander – und besonders das göttliche Wort verbindet beide. Gott bleibt freilich der Größere, der über alles Geschaffene hinausgeht. Dafür steht ganz oben im Dreipass des mittleren Fensters das Dreieck, Symbol der Dreifaltigkeit, und der Kreis, in seiner Endlosigkeit, Symbol der Ewigkeit Gottes.

Wenn man die beschriebene Einteilung des Bildes (unten Erde, oben Himmel) zugrunde legt, dann kann man die vier Bilder des inneren Quadrates auch als einen Kreis lesen: Jesus ist das Wort, das von Gott kommt, das den Menschen Kunde von Gott bringt und das dann wieder zu Gott zurückkehrt. – Aber zurück zur Darstellung des Lammes im mittleren Fenster oben: Das Lamm hat etwas Entrücktes, denn es steht für den auferstandenen, für den zu Gott erhöhten Herrn. Zugleich aber ist es Zeichen der bleibenden Gegenwart des erhöhten Herrn in der Kirche. Es steht für die Verbindung von himmlischer und irdischer Liturgie: Dazu kann man noch einmal an die Vision des Sehers Johannes (Offb 4–5) erinnern: all die Scharen um den himmlischen Thron, sie geben Gott und dem Lamm die Ehre, wie es heißt (Offb 5,13): „Ihm, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm gebühren Lob und Ehre und Herrlichkeit und Kraft in alle Ewigkeit.“ Nichts Anderes aber tun wir, wenn wir Gottesdienst feiern. Liturgie ist kein Machwerk von Menschen (auch wenn die ihr eine konkrete Gestalt geben), sondern es ist eine lebendige Verbindung mit dem Himmel, ein Sich-Anschließen an das, was dort geschieht. Darum ist in Kirchen dieses Lamm Gottes oft über dem Altar dargestellt. In Rain weist das Lamm im mittleren Fenster darauf hin, aber auch der Schlussstein im Abschluss des Chores, wo früher der Hochaltar stand (siehe hier).

Die Bilder des äußeren Quadrates

Ausführlich haben wir uns den inneren vier Bildern zugewandt, jetzt soll der Blick auf das äußere Quadrat fallen (vgl. noch einmal hier). Schon in drei der vier Szenen des inneren Quadrates war Jesus nicht alleine, mit ihm werden Johannes der Täufer, die Jünger beim Abendmahl sowie Johannes, Maria und der Hauptmann unter dem Kreuz abgebildet. Das macht deutlich: Das Wort Gottes ist – eben weil es Wort ist – keine Wirklichkeit, die für sich alleine steht. Das Wort ist an jemanden gerichtet. Es wird nicht einfach so dahingesagt, sondern es wird zu Menschen gesprochen. Für die zu denen es gesprochen wird, wird es zum Auftrag, zum Gebot, zur Anfrage. Und indem es gesprochen wird, stiftet es Gemeinschaft – die Gemeinschaft derer, die diesem Wort glauben. In den vier Szenen des äußeren Quadrates wird genau das zum Thema. Sie beschreiben ausdrücklich, wie das Wort Gottes auf Menschen wirkt: In den beiden oberen wird gewissermaßen die positive Seite dargestellt: Oben links Maria, die vom Engel angesprochen wird und ihr Ja-Wort gibt (Lk 1,26–38), oben rechts die heiligen drei Könige, die erkennen, was es mit Jesus auf sich hat, und anbetend vor ihm knien. Die „Könige“, die von weit herkommen, stehen nach alter Deutung auch für die Völker, das heißt für die Menschen aus allen Nationen, die sich vom Wort Gottes anziehen lassen, die sich auf den Weg machen, um es zu suchen und zu finden. – Über Maria und dem Kind ist noch etwas zu sehen, das aber nicht ganz leicht einzuordnen ist: Ist es der Stern, dem die Weisen gefolgt sind und der nun über dem Haus von Betlehem leuchtet? Auch wenn es kein Gesicht hat, könnte es aber auch ein Engel sein, vielleicht sogar mit einer Posaune wie in der Offenbarung des Johannes, wo wichtige Ereignisse, ja Einschnitte in der Weltgeschichte so angekündigt wurden (vgl. Offb 11,15). Man muss sich gar nicht entscheiden, Erich Schickling könnte uns sagen wollen: Gott hat seine Wege, um sein Heil in der Welt bekannt zu machen; wichtig ist der Inhalt des Wortes, nicht seine Vermittler. War in diesem Sinn der Stern nicht auch ein „Engel“, das heißt ja wörtlich ein „Bote Gottes“?

In den beiden unteren Darstellungen kommt dann die negative Seite zur Sprache: Immer wieder begegnet dem Wort Gottes auch Unverständnis und Ablehnung, das trifft auch diejenigen, die sich zu diesem Wort bekennen: Darum muss Johannes der Täufer im Gefängnis sitzen, ja, erleidet sogar den Tod. – Das Bild im linken Fenster ganz unten zeigt den gefangenen Johannes: Die Sonne nur hinter Gitterstäben sichtbar, sitzt Johannes nackt und schweigend da, die Füße an einen Stuhl gekettet. Letzteres gibt der Szene einen modernen Hauch: Hier könnte genauso ein Pater Rupert Mayer, ein Dietrich Bonhoeffer, ein Maximilian Kolbe, ein Pater Alfred Delp sitzen (um nur einige Christen zu nennen, denen der Widerstand gegen das Dritte Reich ein ähnliches Schicksal bescherte wie Johannes dem Täufer). Johannes war auch nicht der erste Prophet, dem es so ergangen wäre: Man kann an Jeremia denken, der ins Gefängnis und in eine Zisterne geworfen wurde (Jer 37,11–16; 38,6–9) oder an Daniel in der Löwengrube (Dan 6,8–18) oder an den Propheten Micha (1 Kön 22,27). Dem Propheten des Wortes Gottes geht es nicht besser als dem Wort Gottes selbst. Auch Paulus hat das erfahren müssen, aber er legte dabei zugleich Zeugnis ab von der ihn erfüllenden Hoffnung, der zweite Timotheusbrief (2 Tim 2,8f.) lässt ihn sagen: „Denk daran, dass Jesus Christus, der Nachkomme Davids, von den Toten auferstanden ist; so lautet mein Evangelium, für das ich zu leiden habe und sogar wie ein Verbrecher gefesselt bin; aber das Wort Gottes ist nicht gefesselt.“

Das „Wort Gottes ist nicht gefesselt“, es lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Das gilt auch noch im Letzten, wie die Szene im rechten Fenster ganz unten zeigt: Wir sehen ganz unten, links von der Mitte König Herodes. Seine Haltung ist seltsam. Soll sie zeigen, dass er bei dem Festmahl zu Tisch liegt oder wird damit die innere Qual angedeutet, die Herodes empfunden haben musste? Der biblische Bericht sagt ja ausdrücklich: Herodes fürchtete sich vor Johannes, und wenn er mit ihm sprach, wurde er unruhig und ratlos (vgl. Mk 6,20). Wie muss es ihm also ergangen sein, als er merkte, dass er mit dem eigenen Versprechen an die Tochter seiner Frau überlistet worden war? Rechts ist die Tochter der Herodias dargestellt, die Tradition hat ihr den Namen Salome gegeben. Mit einem eiskalten, bitteren Blick präsentiert sie ihrer Mutter auf einer Schale den Kopf Johannes’ des Täufers (Mk 6,28). Die aber scheint alles andere als begeistert oder zufrieden zu sein, Hände und Gesicht deuten eine abwehrende Haltung an. Vielleicht deswegen, weil auch der tote Johannes immer noch spricht – in ihr Gewissen hinein. Das mag auch König Herodes gespürt haben, wenn er später über Jesus sagte: „Johannes, den ich enthaupten ließ, ist auferstanden“ (Mk 6,16)

Ist damit das Bild, das uns die drei Chorfenster zeichnen, ganz beschrieben? Fast! Ein Detail gibt es noch zu entdecken, das das Thema „Wort Gottes“ abrundet. Etwas abseits, rechts unter dem Kreuz ist noch einmal Johannes der Täufer dargestellt. Er steht da in der typischen Geste, die sein Leben gekennzeichnet hat: Hinweisend auf einen Anderen, Größeren. Er zeigt dabei auf das Kreuz Jesu Christi – das ja eigentlich den Moment der größten Erniedrigung darstellt, wo Jesus „am Kleinsten“ war. Weil Jesus es aber freiwillig getan hat, wird hier zugleich seine ganze Größe offenbar. Mathis Grünewald hat im berühmten „Isenheimer Altar“ in Colmar eine ganz ähnliche Darstellung mit Johannes dem Täufer unter dem Kreuz geschaffen. Oder geht der Fingerzeig des Täufers weiter und gilt eigentlich dem Lamm oben? Es macht einerseits keinen großen Unterschied, denn der Gekreuzigte ist ja das Lamm, andererseits kommt so vielleicht noch mehr in den Blick, dass das Kreuz nicht die letzte Station des Lebens Jesu war, dass Tod und Auferstehung Jesu nur zusammen einen Sinn geben. Oder eine dritte Möglichkeit: Gilt der Fingerzeig dem ganzen Ensemble, sprich dem Leben Jesu als ganzem? Das wäre dann ein Hinweis für uns: Schaut immer wieder auf die Lebensgeschichte Jesu, lasst euch von ihr „ansprechen“, ganz im wörtlichen Sinn, denn im Leben Jesu steckt das, was Gott uns zu sagen hat – und antwortet schließlich darauf mit eurem eigenen Leben.

Mathis Grünewald, Isenheimer Altar
(1512–1516)

Die Fenster im Chorraum

 

Nördl. Fenster                      Östl. Fenster                          Südl. Fenster

Oben: Verkündigung             Oben: Lamm Gottes              Oben: Anbetung der Könige

Mitte: Taufe Jesu                   Mitte: Pfingstereignis             Mitte: Tod Jesu am Kreuz

Unten: Johannes im Kerker    Unten: Letztes Abendmahl    Unten: Enthauptung Johannes d. T.

Das Westfenster

Dargestellt wird hier das himmlische Jerusalem. Man mag sich denken: Das lässt sich nicht so ohne weiteres erkennen. Man muss schon einiges an Wissen und Phantasie mitbringen, um das Bild wirklich zu sehen.

Die Geschichte des Motivs reicht weit zurück. Der Prophet Ezechiel lebte im 7./6. Jahrhundert vor Christus in der Zeit des Babylonischen Exils. Der Verschleppung der israelitischen Bevölkerung war die Eroberung und Zerstörung Jerusalems durch Nebukadnezar II. im Jahr 597 v. Chr. vorausgegangen, sicher eines der einschneidendsten Ereignisse der jüdischen Geschichte. In seinen Worten und Visionen arbeitete der Prophet Ezechiel auf, wie es dazu kommen konnte. Der Schluss ist ein tröstlicher: Die letzte Vision des Ezechiel (48,30–35) beschreibt eine neue Stadt, die zu den zwölf Stämmen Israels hin offen ist: „Und der Name der Stadt soll von heute an sein: Hier ist der Herr“ (Ez 48,35), heißt es am Ende. – Es ist die Gegenwart Gottes, die die Stadt zu einem Ort des Heiles macht, der all das erfahren lässt, was die Israeliten im Exil schmerzlich vermissten: Freiheit, Schutz, Ordnung, frohe Gemeinschaft …

Im Neuen Testament wird dieses Bild von dem neuen, himmlischen Jerusalem an verschiedenen Stellen aufgenommen (Hebr 12,22; Gal 4,26). Vor allem aber beschreibt der Seher Johannes in der Offenbarung seine Vision: „Ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen“ (Offb 21,2; vgl. auch Offb 3,12; 21,10). Es folgt eine detailreiche Schilderung dieser Stadt. Ihre Herrlichkeit wird herausgestellt: in der Größe der Stadt, in der symbolischen Anzahl ihrer 12 Tore, in den verwendeten kostbaren Materialien (Gold, Edelsteine, Perlen). Und auch hier ist es die Gegenwart Gottes, die vor allem den Glanz der Stadt ausmacht: „Denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie, und ihre Leuchte ist das Lamm“ (Offb 12,23). Die Bildhaftigkeit der Vision des Johannes hat die Phantasie der Künstler von jeher angeregt, Bilder dieses himmlischen Jerusalem zu zeichnen. Die Bamberger Apokalypse (um das Jahr 1000 entstanden) ist nur eines von vielen Beispielen. Erkennen Sie die Ähnlichkeit zum Glasfenster von Erich Schickling?

„Bamberger Apokalypse“, fol. 55 recto,

Bamberg, Staatsbibliothek, MS A. II. 42

Als ideale Stadt wird das himmlische Jerusalem kreisrund dargestellt. Die zwölf Tore findet man in Dreiergruppen in die vier Himmelsrichtungen weisend. Es mag spannend sein zu beobachten, wie im Mittelalter auch umgekehrt Karten des irdischen Jerusalem nach dieser Vorstellung gestaltet wurden, etwa wenn man eine Karte aus der Kreuzfahrerzeit Anfang/Mitte des 12. Jahrhunderts betrachtet (Psalter Fragment, Hague KB 76, fol. 5, hier).

Mit diesem Hintergrund wird das Bild unseres Glasfensters lesbar: Der große runde Kreis ist die Mauer der Stadt, das Kreuz weist (wenn auch sehr frei dargestellt) auf die Tore der Stadt hin, seine Balken sind die beiden in ost-westlicher und nord-südlicher Richtung verlaufenden Hauptstraßen (die für eine antike Stadt charakteristisch waren). Der Glanz von Gold und Edelstein lässt sich durch das Medium der Glasfenster aufs Beste wiedergeben, und selbst die Perlen, die diese Tore zieren, mag man in den Enden des Kreuzes erkennen. Die Kreuzform enthält dabei eine mehrfache Aussage: Es werden ja die Tore damit angedeutet, oder anders gesagt: Das Kreuz ist der Eingang zur Stadt, das heißt Jesus Christus hat uns den Zugang zum himmlischen Jerusalem in seinem heilbringenden Leiden und Sterben eröffnet. Jetzt, am Ende der Zeiten, hat das Kreuz ist nichts Leidvolles mehr: Trauer, Mühsal, Klage, Tod sind nicht vergessen, aber sie sind verwandelt in Herrlichkeit. So manches andere Bild zeigt den Auferstandenen, der die Wundmale als kostbare Zeichen der Erlösung trägt, hier in diesem Bild ist es das strahlende Kreuz, das über der Stadt liegt. Im Symbol des Kreuzes wird auch wird die Verbindung zum Lamm Gottes geschlagen, das die Stadt erleuchtet und das auch genau gegenüber, am anderen Ende der Kirche, im Ostfenster dargestellt ist (siehe hier).

An einer Stelle (rechts unten) ist die Stadtmauer offen. Es ist die Stelle, wo der in der Mitte der Stadt entspringende Strom ins Freie tritt. Das „Wasser des Lebens“ wird hier angedeutet. In der Vision des Propheten Ezechiel (47,1) entspringt es im Tempel, bei Johannes (Offb 22,1) aber da, wo der Thron Gottes und des Lammes stehen. Die Bäume, die entlang dieses Wassers stehen und durch das Wasser grünen und Frucht tragen, kann man im unteren Teil des Bildes erahnen. Für weitere Bezüge mag an die Paradiesesflüsse denken, aber ebenso an das Wasser, das aus der Seitenwunde Jesu hervorkam (Joh 19,34). Gott, der sich verströmt, der großzügig an seinem Heil teilhaben lässt, dafür steht dieses Bild vom Wasser des Lebens.

In dem Bild des himmlischen Jerusalem gehen Realität und Idealität ineinander, Hoffnung und Wirklichkeit fließen zusammen: Eine Welt ohne Trauer, ohne Mühsal, ohne die Not der Gottferne, das ist einerseits das Bild eines Vollendungszustandes, der erst in ferner Zukunft – am „Ende der Zeiten“ – eintreten wird. Und andererseits: Liegt es nicht auch schon jetzt in unseren Händen, wenigstens anfanghaft? Gott ist nicht nur der Ferne, er ist auch der Nahe: Glück, Freude, Trost, Leben sind in aller irdischen Gebrochenheit doch auch jetzt schon Wirklichkeit und wir können nicht wenig dazu beitragen, dass es mehr Wirklichkeit wird. Wenn wir den Raum der Kirche betreten, wenn wir Gottesdienst feiern, dann soll uns das bewusstwerden: Wir sind jetzt schon „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“ (Eph 2,19), also ein Teil des himmlischen Jerusalem. Halten wir dieses Wissen in uns lebendig!

Literatur

< >Festschrift zur Altarweihe in der Pfarrkirche St. Johann der Täufer Rain am Lech, 30. Juni 1974, online hierStadtpfarrkirche St. Johann der Täufer, Rain am Lech 1480–1980, [Führer zur Stadtpfarrkirche,] hrsg. v. Albrecht GruppArt. „Farbensymbolik“, in: Jutta Seibert, Lexikon christlicher Kunst, Freiburg i. Br. 2002, S. 112f.Art. „Hand Gottes“, in: Hannelore Sachs, Ernst Badstübner, Helga Neumann, Wörterbuch der christlichen Ikonographie, Regensburg, 9. Aufl., 2005, S. 164f.II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, online hier

Quelle: Festschrift zur Altarweihe, S. 8


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